Er war stets dort, wo die Klasse kämpfte

Der Journalist Alan Winnington wäre am 16. März 75 geworden
Von Harry Thürk

Alan Winnington,
16. 3. 1910–
26. 11. 1983

Als ich das erste Mal in seinem Haus in Peking selbstgebrautes Ingwer-Bier trank, es war an einem 1. Mai, stellte er mich seinen anderen Gästen in der ihm eigenen, legeren Art vor: „Dieser Bursche hier kommt aus dem deutschen Staat, von dem wir alle schon nicht mehr glauben wollten, daß es ihn jemals geben kann…“ Damals ahnte er noch nicht, daß er wenig später in genau diesen neuen deutschen Staat DDR umsiedeln und hier bis zu seinem Tod im Jahre 1983 leben würde. Heute wäre er 75 geworden – wir alle, die wir ihn kannten, liebten, verehrten, mußten vorher von ihm Abschied nehmen.
Sein ganzes Journalistenleben lang diente Winnington selbstlos der Arbeiterklasse und der Sache des Internationalismus – stets war er dort zu finden, wo die Klasse kämpfte. Winnington war kein dilettierender Enthusiast, nein, dieser vielseitig gebildete, weltoffene, stets heitere Mann war – vielleicht ohne es selbst so zu sehen – seelenverwandt mit Egon Erwin Kisch: ein Kämpfer, Aufklärer und Unterhalter zugleich, der sein Handwerk von der Pike auf gelernt hatte. Nach langen Jahren der Arbeitslosigkeit war es ihm gelungen, 1933 bei kapitalistischen Londoner Blättern unterzukommen, obwohl er damals schon Bezirkssekretär der KP in der englischen Hauptstadt war. 1941 dann berief ihn seine Partei in eine zentrale Funktion. Fortan war Winnington, ob er als Pressebeauftragter des ZK, als Reporter oder als Redakteur beim Parteiorgan „Daily Worker“ arbeitete, Berufsrevolutionär.
Zu seinen unvergessenen Verdiensten gehört die Hilfe, die er mit seinen Erfahrungen und seinem Können für Bruderparteien leistete. 1948 erfüllte die KP Großbritanniens die Bitte der auf dem Marsch zum Sieg befindlichen KP Chinas und sandte Winnington in die bereits befreite Mandschurei, zu der legendären 8. Armee, wo er ein Nachrichtensystem aufbaute und Rundfunk-Pionierarbeit leistete. Ein Jahr später, im befreiten Peking, blieb er als Hauptberater der neuen Nachrichtenagentur Hsin-hua für englische Sprache tätig.
Der Korea-Krieg, der ein Jahr darauf begann, sah ihn als Korrespondenten des „Daily Worker“ an den Brennpunkten der Kämpfe, aber auch in den Lagern für englische Kriegsgefangene. Unzähligen jungen Leuten aus seinem Heimatland widmete er sich mit Geduld und Einfühlungsvermögen, öffnete ihnen die Augen und gab ihnen Anstöße zu politischem Denken. Großbritanniens Regierung rächte sich: Winnington wurde öffentlich als Landesverräter bezeichnet, sein Paß für ungültig erklärt, bei Heimkehr drohte ihm eine lange Haftstrafe. Es dauerte länger als ein Jahrzehnt, bis der Engländer Winnington endlich in seinem Lande Recht bekam und die Anschuldigungen gegen ihn unterblieben.

Er hatte inzwischen, gegen Ende der fünfziger Jahre, seine Tätigkeit in China beendet und war fortan als Korrespondent des „Morning Star“ in der Hauptstadt der DDR tätig. Hier heiratete er, die Kinder der Familie wuchsen heran. Der Vietnamkrieg führte Winnington bald wieder in das von ihm geliebte Asien. Zehn Jahre bevor über Saigon die Befreiungsfahnen wehten, tauschte ich, wie so oft, mit Winnington meine Eindrücke vom Kriegsschauplatz aus, und ich war beeindruckt vom Weitblick meines Kollegen und Freundes.
Es war die ermutigende Atmosphäre unserer literarischen Landschaft, die aus dem exzellenten Journalisten Winnington in den letzten beiden Jahrzehnten seines Lebens noch einen Schriftsteller werden ließ, dessen völkerkundlich hochinteressante Arbeiten ebenso wie die von ihm erfundenen literarischen Gestalten seinen Büchern bald eine wachsende Lesergemeinde bescherten.

Quelle: Neues Deutschland, 16./17.03.1985

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