14. März 2000: 90. Geburtstag von Prof. Dr. Ernst Schäfer

Die Äußerungen von Reinhold Messner zum Thema Yeti brachten mich auf die Idee, bei dem von Messner zitierten, bedeutendsten deutschen Tibetforschers unseres Jahrhunderts, Ernst Schäfer, nachzufragen, wie es sich nun tatsächlich mit dem Yeti verhält. 1931/32 und 1934/36 nahm Schäfer als junger Student der Zoologie an zwei amerikanischen Westchina/Osttibet-Expeditionen teil und 1938/39 war er der Leiter der Deutschen Tibet-Expedition ErnstSchäfer 1938/39. Diese Expedition war sehr vielseitig und brachte erstmalig eine Fülle von wissenschaftlichen Ergebnissen aus diesem Teil der Erde mit. Prof. Dr. Ernst Schäfer verstarb 1992. Doch schon in den dreißiger Jahren hatte sich Schäfer in den Berichten der Senkenbergschen Naturforschenden Gesellschaft zum Thema Yeti geäußert und 1959 brachte er die Dinge in einem ausführlichen Artikel in selbiger Fachzeitschrift auf den Punkt: Mit Beitrag „Schneemensch – oder Tibetbär“ lüftete er vor 30 Jahren abermals das „Geheimnis“ um den Schneemenschen. Darauf machte er auch in einem Briefwechsel mit Reinhold Messner im Frühjahr 1992 och aufmerksam. Dies diente auch als Grundlage für unser Interview, welches leider so nicht geführt werden konnte.

Dr. Michael Polster: Herr Prof. Dr. Schäfer, was hat es auf sich mit dem Yeti oder Schneemenschen und seit wann spielt er in unserer westlichen Welt eine Rolle?
Prof Dr. Ernst Schäfer: Seit der Mitte der dreißiger Jahre beschäftigen sich Bergsteiger, Journalisten sowie neuerdings auch Wissenschaftler mit dem „Abscheulichen Schneemenschen“, dem „Yeti“, der in den himalayanischen Gebirgszügen sein Unwesen treiben soll. Bei diesem Ungeheuer soll es sich um einen zweifüßig gehenden, menschenaffenähnlichen dichtbehaarten Großsäuger von riesenhaften Ausmaßen handeln. Der Franzose HEUVELMANS hat ihn mit einem wissenschaftlichen Namen, Dino-pithecus nivalis, belegt. Heute gilt der Yeti bei zahlreichen keineswegs leichtfertig urteilenden Menschen und sogar bei einigen Wissenschaftlern als wirklich vorhanden. Aufgrund meiner an Ort und Stelle gesammelten zoologischen Kenntnisse und einer langjährigen Erfahrung mit den Menschen Tibets und seiner Randgebiete will es mir scheinen, daß das Yeti-Problem von zwei verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachtet werden sollte; nämlich dem naturwissenschaftlich-biologischen und dem geisteswissenschaftlich-religiösen.

Dr. Michael Polster: Was ist Ihrer Meinung nach die Ursache für die Verwechslung der naturwissenschaftlichen und religiösen Ursachen für die Bestimmung des Yetibildes, die gegenwärtig in der Diskussion sind?
Prof Dr. Ernst Schäfer: Soweit mir die Quellen zugänglich sind, bietet das Yeti-Problem etwa folgendes Bild: Schon l898 soll der englische Forscher wadell die Spuren eines Schneemenschen gefunden und einen Bericht an den damaligen Vizekönig von Indien ausgefertigt ha­ben. 1933-35 fand der britische Bergsteiger frank smythe abermals Fährten des abominable snow man, fotografierte sie und veröffentlichte das Bild in der „London illustrated News“. Ich erklärte damals, daß es sich nach meinem Dafürhalten um Bärenfährten handelte, wie ich sie in der Schneeregion Hochtibets zu Hunderten gefunden hatte. Zu allen späteren Veröffentlichungen äußerte ich mich nicht mehr, da mir die Fälschungen zu offensichtlich erschienen und mir inzwischen auch klar geworden war, daß sensationslüsternde Reporter die bewußte Irreführung nicht scheuen. Noch klarer wurde für mich der Fall, als mir der nämliche prank Smythe. in einer persönlichen Unterhaltung erklärte, daß ihm und seinem Bergsteiger-Kollegen an einer wissenschaftlichen Klärung des Yeti-Problems nicht das mindeste gelegen sei, da sie das Märchen vom „snowman“ brauchten, um die Mount Ewerrest-Expedition zu finanzieren. Die Presse gäbe sonst kein Geld. 1951 fotografierte der englische Bergsteiger und Kollege von SMYTHE, Eric shipton, wiederum Yeti-Fährten. Im selben Jahre sollen am Yelep-La in Sikkim Yeti-Haare gefunden worden sein; angeblich stammten sie von einem Schneemenschen, der von Eingeborenen gefesselt worden war und sich wieder befreit haben soll. 1953 wurden auf einer von der „Daily Mail“ finanzierten Expedition in tibetischen Klöstern als Heiligtümer aufbewahrte „Skalps“ zweier Schneemenschen aufgefunden. Auch ich habe in zahlreichen Klöstern Tibets derartige Reliquien von sogenannten Schneemenschen gesehen und untersucht. In allen Fällen waren es mumifizierte Men­schen, Yaks, Hunde oder Tibetbären.
1954 will der Chinese pai hsim im Pamir-Gebiet einen Yen mit hellem Gesicht gesehen haben, und 1956/57 soll der russische Professor pronin ebenfalls einen Schneemenschen am Fedtschenko-Gletscher im Hohen Pamir beobachtet haben, 1957/58 endlich rüstete der amerikanische Olkönig tom suck eine Expedition in das Barun-Tal von Nepal aus, wo ein (unbenannter) Engländer kurz vorher die schreckliche Stimme eines Yeti gehört haben und von seinen verängstigten Scherpa-Trägern im Stich gelassen worden sein soll. Den Veröffentlichungen zufolge wurden die Einge­borenen schon beim Hören des Namens Yeti von wilder Panik ergriffen. Kinder woll­ten ihn gesehen und erschlagene Yaks aufgefunden haben, deren Rückgrat durch einen einzigen Faustschlag des haarigen Ungetüms zerschmettert worden wäre. Unter Lebensgefahr drangen die Amerikaner in das Tal des Schneemenschen vor, schnallten dort ihre gewaltigen Arizona-Hunde los, die eigens für den Kampf mit dem Yeti abgerichtet waren, und luden ihre Armbrüste mit Curare-Ampullen, um das Ungeheuer lähmen zu können. Obwohl sie seiner nicht ansichtig wurden, fühlten sie sich doch nächtelang von ihm beobachtet und fanden am nächsten Morgen seine frischen Fußabdrücke wenige Meter von ihren Zelten entfernet. Diese Fährten wurden in »Paris Match“ vom 17. 5. 1958 über eine ganze Seite abgebildet. Für das geschulte Auge ist leicht erkennen, daß die symmetrischen Fußstapfen von gewiß sehr praktischen Schneereifen, nicht aber von einem sohlengängigen Säugetier stammen.

Dr. Michael Polster: Wie sind aber ihre eigenen Erfahrungen mit dem Schneemenschen?
Prof. Dr. Schäfer: Meine eigenen Schneemenschen-Erfahrungen begannen gelegentlich einer Audienz beim Gouvemeuer der westchinesischen Szetschwan-Provinz,. General Lui Hsiang, der mich bat; ihm ein Pärchen dieser Riesen zur Bereicherung seines zoologischen Gartens aus Tibet mitzubringen. Zu jenem Zeitpunkt, 1934, bestand das Yeti-Problem noch gar nicht. Daher drang ich völlig unbeschwert nach Hoch-Tibet vor. Es war mein Ziel, nach seltenen Groß-Säugern wie Takin, Wildyak, Weißlippen-Hirsch, Mac Neils-Hirsch, Orongo-Antilope und Tibet-Bär zu fahnden. Im Februar 1935 stieß ich am oberen Yalung in Osttibet unvermittelt auf ein Zeltlager der Wata-Nomaden, eines abgesprengten Zweiges der gefürchteten Ngoloks, Nachdem das Vertrauen hergestellt war; tischte mir einer der Watas eine höchst phantastische Geschichte vom haarigen Schneemen­schen auf. Das Ungeheuer treibe sich seit Monaten In den benachbarten Gebirgszügen umher, sei so groß wie ein Yak, dicht behaart wie ein Bär, ginge aufrecht und habe nächtlicherweise Verheerungen unter Vieh und Menschen angerichtet. Die Fußsohlen des Monstrums seien rückwärts gerichtet, so daß man seine Spur nicht verfolgen könne. Ich versprach dem Wata eine Belohnung» wenn er die Höhle des Schneemenschen ausfindig machte. Am folgenden Tage führten mich die verängstigten Watas in die Nähe der geheimnis-umwitterten Höhle und blieben dann in sicherer Entfernung zurück, während ich heranpirschte und einen winterschlafenden Tibet-Bären aufschreckte und zur Strecke brachte Ich bin überzeugt, daß ich damit der Lösung des Yeti-Problems schon damals, wenn auch völlig unbeabsichtigt, nahegekommen bin.


Dr. Michael Polster: Zu welchen Ergebnissen sind sie dabei gekommen, wie können Sie Ihre Ergebnisse belegen?

Prof. Dr. Schäfer: Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus wäre noch zu untersuchen, ob ein menschenaffen-ähnliches Lebewesen unter den gegenwärtigen Bedingungen überhaupt in Hochtibet und seinen Randgebirgen leben kann. Diese Frage ist sowohl vom phylogenetischen, tiergeographischen wie vom ökologischen, vor allem auch vom nahrungsbiologischen Gesichtspunkt aus, zu verneinen. Und zwar aus folgenden Gründen: Die kristalline Hauptachse des Himalaja stellt eine scharfe Scheide dar zwischen den Regionen der älteren, indo-orientalischen und der moderneren, hauptsächlich nacheiszeitlich geprägten polararktischen Fauna. Der Grenzwall des Himalaja ist nämlich seit seiner Entstehung im Tertiär eine fast unüber­windliche Schranke für die vom Indischen Ozean heranwehenden Monsunwinde, die zum größten Teil schon südlich der Gebirgsachse ihre Feuchtigkeit abladen und dort zur Erhaltung alter tropischer Regen- und subtropischer Nebelwälder entscheidend beigetragen haben. Nur in Ost-Tibet, im Bereich der meridionalen Stromfurchen können die wassergesättigte Winde ungehindert nach Tibet einstrahlen. Es besteht daher zwischen den subtropischen Bergwälder Nepals, Sikkims. Bhutans und denen Ost-Tibets sowohl hinsichtlich der Lebensbedingungen als auch des Artenbestandes der Pflanzen- und Tierwelt eine auffallende Ähnlichkeit. In diesen tropischen und subtropischen Gebirgslagen südlich und östlich der himalayanischen Hauptketten konnten sich zahlreiche spättertiäre Formen bis zum heutigen Tage in räumlich begrenzten Rückzugsgebieten erhalten. Dabei ist bezeichnend, daß viele der dort vorkommenden, meist seltenen Saugetiere, wie Bambusbär, Takin, Schapi, kleine, Isolierte, vertikal stark gestaffelte und in den meisten Fällen sogar unzusammenhängende Verbreitungsgebiete haben. Auch paläontologisch deuten die westchinesisch-osthimalajanischen. Tertiärfaunen auf einen jungen Zusammenhang mit den indischen Sivatiks, also mit der subhimalajanischen Gebirgsfauna hin, die zahlreiche Reste spättertiärer Menschenaffen enthält. In ihren Zeitzonen scheine die heutige tropische und subtropische Himalaja aus Resten einer im Pliozän weitverbreiteten orientalischen Tierwelt zu bestehen. Wenn irgendwo im tibeto-himalajanischen Bereich ein angemessener Lebensraum bereitgestanden hätte, um einen in kleinen Familienverbänden lebenden Menschenaffen aufzunehmen, so wäre es in diesen lebensfreundlichen subtropischen Gebirgswaldungen gewesen, wo die Bedingungen ebenso günstig sind wie etwa in den Gebirgswäldern von Belgisch-Kongo für den Berggorilla. Bezeichnender Weise wurde aber hier noch nie das geringste Anzeichen eines Yeti entdeckt.
Ganz im Gegenteil; alle Schneemenschen-Spuren wurden im höchsten Himalaja an der Grenze des ewigen Schnees, im Hochpamir und in Tibet selbst gefunden, wo es für menschenaffen-ähnliche Wesen schlechterdings keine Lebensgrundlagen gibt, es sei denn, sie wären zu Maushasen jagenden Fleischfressern oder zu Winterschläfern geworden. Die diluvialen Vereisungen haben im tibetanischen Hochland keineswegs alles Leben vernichtet; es gab vielmehr Rückzugsgebiete. Auch das heutige faunistische Bild des größten Hochlandes der Erde hat noch immer einen durchaus eiszeitlichen Charakter. In dieser Lebensgemeinschaft herrschen extreme und zugleich sehr einförmige Verhältnisse, die vornehmlich durch die gewaltigen Höhenlagen und eine auf wenige Monate beschränkte Vegetationsperiode bestimmt sind. Die dort vorkommenden Groß­säuger wie Wildyak, Pferdeesel» Blauschaf, Riesenschaf,. Tibetgazelle, Weiß-Lien-Hirsch haben daher im Gegensatz zu den engbegrenzten Vorkommen der subtropischen Gebirgsfauna allesamt sehr große Verbreitungsgebiete, die bei den meisten der genannten Arten von Osttibet bis zum Pamir .und vom Himalaja bis zum Kuenlung reichen. Auch der große Tibetbär (ürsus lagomyiarius) bewohnt ein Gebiet, das sich über 30 Längen- und 10 Breitengrade erstreckt und das sich auffallender Weise mit den angeblichen „Nachweisen“ des Schneemenschen deckt.

Dr. Michael Polster: Was bedeutet dies nur für den Yeti?
Prof Dr. Ernst Schäfer: Dieser In verschiedenen, durch Alter und Geschlecht bedingten Farbvariatio­nen vorkommende Bär ist jedoch in allen rundlichen Teilen Tibets, so auch im hohen Himalaja, ausgesprochen selten, während er in der für Menschen nicht bewohnbaren abflusslosen Beckenlandschaft des nördlichen Tibet außerordentlich häufig ist. So klärt es sich, daß er überall dort, wo er den Eingeborenen nur dem Vernehmen nach oder lediglich durch seine Fährten bekannt Ist, zu der mythischen Persönlichkeit des Yeti erhoben wurde. Aber auch dort, wo der Tibetbär häufig Ist und die Menschen ihn von Angesicht kennen, rief im Inneren Tibets, wohin allerdings bisher weder Bergsteiger noch Journalisten vorgedrungen sind, werden dem Bären dämonische Kräfte zugesprochen, ähnlich wie In den Schamanenkulturen der Hindus und anderer nordasiatisch-sibirischer Naturvölker.

Dr. Michael Polster: Welchen Eindruck hatten Sie von diesem Tier?
Prof. Dr. Ernst Schäfer: In einem Äußeren und seinem Verhalten hinterließ der in völlig offenem Gelände lebende Tibetbär auf mich einen gewaltigeren Eindruck als der faxe immer unsichtbare, an dichtesten Urwald gebundene Berggorilla Innerrikas. In den menschenleeren Quellgebieten von Hoangho-Yangtsekiang und Tschümar beobachtete ich Hunderte dieser Bären und war immer wieder be­troffen von ihrer verblüffenden „.Menschenähnlichkeit““. Auf der Suche nach Maushasen, ihren bevorzugten Nahrungstieren, »ackerten“ sie ganze Talböden um. Sie zeichneten sich uns gegenüber häufig durch völlige Unbekümmertheit aus; sie führten mit brüllend geöffnetem Fang Scheinangriffe; sie zersprengten aus purem Übermut unsere Yakherden und brachen mit lautem Gebrüll In unsere Lager ein. Kurz sie benahmen sich so, als ob sie die alleinigen Herren dieses unermeßlich weiten Landes wären. Obwohl meine eingeborenen Begleiter täglich Bären sahen und genau wußten, daß es sich um Tiere und nicht um überirdische Wesen handelte, blieben meine Überredungskünste doch oft genug machtlos gegen die Dämonenfurcht, die sie vor den zottigen Riesen empfanden, wenn sich diese wildschnaubend, mit gestülpten Lippen und drohend kreiselnden Windfängen wie Bildsäulen auf ihre Hinterpranken erhoben und sich weder durch Stein- noch Messerwürfe von uns vertreiben ließen. Schließlich behaupteten meine Begleiter, daß die Geister der von mir getöteten Bären uns den sicheren Untergang brächten. Ja ihre Angst ging so weit, daß sie einen Mordversuch gegen mich planten. Bezeichnender Weise glichen die hier geschilderten Verhaltensweisen der Bären in hohem Maße der Haltung und den Gebärden, wie sie dem Schneemenschen immer wieder zugeschrieben werden. Nur das persönliche Erlebnis läßt den nachhaltigen Eindruck, selbst auf Europäer begreifen. Wie aber muß es erst auf einen im Dämonenglauben verstrickten Asiaten, einen in Bildern und Visionen lebenden Tibeter wirken, wenn er sich in schauriger Einöde plötzlich der überwältigenden Erscheinung eines aufrecht stehenden Bären gegenübersieht ! Ich meine, daß nur wenig Einbildungskraft dazu gehört, um einen „Yeti“ daraus zu machen.

Dr. Michael Polster: Nun gibt es eine Reihe von sogenannten Funden von Spuren des Yetis, wie verhält es sich damit, z.B. den rückwärtigen Gang?
Prof. Dr. Ernst Schäfer: Was den rückwärtigen Gang angeht, so gibt es meines Erachtens auch hierfür eine ganz natürliche Erklärung. Ich selbst habe viele Male Spuren von Tibetbären gefunden, die meterhohen Schnee durchfurchten. Dabei war es infolge der Langhaarigkeit der Bären und angesichts der tiefeingedrückten Spuren oft sehr schwierig zu erkennen, welche Richtung das Tier genommen hatte. Hinzu kommt, daß die Fährten-Bilder unter der subtropischen Sonne rasch aussaugen und damit nicht nur bis zur Unkenntlichkeit verwaschen werden, sondern auch ganz erheblich an Größe zunehmen. Letztendlich verdient erwähnt zu werden, dass die hungrigen, aus dem Winterschlaf erwachten Bären auf der Suche nach der ersten Frühlingsnahrung in sehr fördernder Gangart oft weite Wanderschaften unternehmen und dabei, mächtige Firnhalden überquerend, von einem Talgebiet in das andere hinüberwechseln. Für den Finder oder Verfolger derartiger Fährten bestehen daher stets nur geringe Aussichten, des Tieres ansichtig zu werden. Was aber die Suggestionswirkung betrifft, die derartige Fährten in den Gemütern der yeti-gläubigen Eingeborenen hinterlassen, so erinnere ich mich eines Versuches, den ich mit meiner sikkimesischen Mannschaft angestellt hätte: Nach Starkem Schneefall hatte die tropische Sonne die Schneekappen von den Felsen rasch weggetaut. Ich nutzte die Gelegenheit und konnte, ohne selber eine sichtbare Spur zu. hinterlassen, •von Block zu Block, springend eine prächtige Spur mit einem starken Stecken in den Schnee eindrücken. Der Erfolg war verblüffend. Meine Begleiter wurden in großen Schrecken versetzt und drohten auch dann noch zu meutern, als ich zum Beweis der Harmlosigkeit des Spaßes rasch noch ein paar zusätzliche Schneemenschen-Fährten in den Schnee zauberte. Eine Sinnesänderung war bei den yeti-gläubigen Eingeborenen nicht herbeizuführen.

Dr. Michael Polster: Ist der Yeti also in der Glaubenswelt der Völker des Himalaja zu suchen. Muß man sich ihm religiös nähern?
Prof Dr. Ernst Schäfer: Dieser, der religiösen, Seite der Schneemenschen-Frage begegnen wir schon auch schon in indischen und tibetischen Überlieferungen von zweibeinigen Riesen, die den Menschen den Besitz der Erde streitig zu machen versuchten. Die sikkimesischen Bhudas glauben noch heute, daß ihr höchster Gott Kangchenzönga einen solchen Riesen in Sold halte, dessen Kopf am Mount Everest und dessen Füße in der indischen Tiefebene lägen. Im Pantheon der Lepschas gilt der Schneemensch hier ‚Tschun-mung‘ genannt, als Geist der Gletscher, als Jagdgott und als Herr der wilden Tiere. Der Maharadscha von Sikkim, seine Hoheit taschi namyal, ein fortschrittlich gesinnter und ganz im angelsächsischen Sinne erzogener Mann, wurde augenblicklich tiefernst, wenn ich bei ihm auf den Yeti zu sprechen kam. Als Buddhist glaubte er fest an den Schneemenschen, von dem er mir die gruseligsten Geschichten von nächtlichen Oberfällen auf hochgelegene Dörfer und von der Vergewaltigung eingeborener Frauen erzählte und sogar behauptete, daß er schon mehr als einmal nationales Unglück über Sikkim heraufbeschworen habe. Tazelwürmer und Drachen — und sei es in der Form des Loch Ness-Ungeheuers — haben die abergläubige Phantasie selbst von vorgeblich in rationaler Umwelt lebenden Europäern bis in unsere Tage hinein bewegt. So ist der „Yeti“, „Migu“, „Mibempo“, „Dremu“,»Shangmi“ oder „Tschu-mung“, wie der Schneemensch von den. einzelnen noch in rein magischer Umwelt lebenden Völkerschaften des Himalaja, Tibets und Westasienas genannt wird, ein Teil ihrer Religion. Sie sind daher von seinem Dasein in Fleisch und Blut ebenso fest überzeugt wie der mittelalterliche Christ von dem auf Erden wandelnden Teufel mit Hörnern und Pferdefuß. Ich bin daher der Ansicht, daß der Yeti wohl in . der Glaubenswelt der Eingeborenen, nicht aber in der zoologischen Wissenschaft seinen Platz hat.

Dr. Michael Polster: Was ist mit den zoologischen Sammelstücken von Ihren zwei Expeditionen, die Sie mit Brook Dolan durchführten, geschehen?
Prof. Dr. Ernst Schäfer: „Die von meinen 2 amerikanischen Expeditionen stammenden zoologischen Sammelstücke sind fast ausschließlich an die Akademie der Naturwissenschaften in Philadelphia gegangen. Einige Stücke aus meinem Privatbesitz befinden sich im ‚Haus der Natur‘ in Salzburg. (Das isabelfarbenen Fell und den Kopf eines männlichen ‚Yeti‘ hat (meine)Frau Ursula Schäfer, Reinhold Messner im Juli 1998 überlassen. Sie befinden sich heute im Museum auf der Burg von R. Messner.) Die meisten Yetis sammelte ich in den Quellgebieten des Mekong, Yangtse und Hoangho, aber vor allem in den völlig menschenleeren Gebieten um die Quenlung Gebirge.“

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