Text und Feldforschung bilden methodisch die Grundpfeiler der historischen Anthropologie, wie sie der Referent seit vielen Jahren in Bezug auf das frühe Zentraltibet verfolgt. Der Vortrag zeigt die heutigen Möglichkeiten einer historisch orientierten Tibet Ethnographie, aber auch die Probleme und Limitierungen, mit denen sie konfrontiert ist. Gezielte, auf den Text abgestimmte in situ Erhebungen erlauben die Konkretisierung von Daten aus schriftlichen Quellen; das bezieht sich insbesondere auf die Identifizierung von historischen Toponymen, aber auch auf signifikante ergänzende Daten zu Lokalgeschichte oder ältere kultische Traditionen. Die Erfahrungen machen deutlich, dass oft erst die Einbeziehung der ethnographischen Gegenwart und die Daten aus dem Fundus der collective memory die entscheidenden
Hinweise zur Erklärung von bestimmten historischen Phänomenen liefern. Gleichzeitig führt die extensive Feldarbeit zu Entdeckungen von historischen Zeugnissen, die über den Text hinausgehen. Die Probleme wiederum liegen unter anderem in dem Sachverhalt eines heute rapiden Rückganges von oral überliefertem Wissen, oder auch in der Beschränkung von Forschungsprojekten auf Oberflächeninspektion bei den Aufnahmen im Feld. Ein Blick in die gegenwärtige Untersuchung des Autors zum Ursprungsplatz der berühmten zweisprachigen
(chinesisch-tibetisch) Vertragsinschrift von Lhasa aus dem Jahr 821/22 soll die Methode des historischanthropologischen Arbeitens illustrieren. Der so genannte Onkel-Neffe Langstein (dbon zhang rdo rings) bildet eine von drei, noch erhaltenen Inschriftenstelen in Zentraltibet aus der Zeit des tibetischen Reiches (7.- 9. Jh.), die eine steinerne Schildkröte als Podest haben. Eine der Kriterien bildet hier die Frage nach einem gemeinsamen Konzept der ursprünglichen Ausrichtung der Steinmonumente, respektive Blickrichtung des
Tieres, auf denen sie stehen. Guntram Hazod ist Sozialanthropologe am Institut für Sozialanthropologie (ISA) am Zentrum Asienwissenschaften und Sozialanthropologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (www.oeaw.ac.at/sozant). Sein Forschungsinteresse bilden historische Anthropologie und Ethnologie der Landschaft mit dem regionalen Schwerpunkt von Tibet und Himalaya. Er ist gegenwärtig als Mercator Gastprofessor am Zentralasien Seminar des IAAW tätig.
Mittwoch, 27. Juni 2012
18.00 Uhr
Invalidenstr. 118, Raum 507
(S-Bahn Nordbahnhof, U6 Naturkundemuseum)
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